Videointerview mit Rasha Nasr, Direktkandidatin der SPD zum Deutschen Bundestag 2021 im Wahlkreis Dresden I (WK 159)
Frage 1: Nennen Sie bitte kurz Ihr persönliches Schwerpunktthema.
Mein Schwerpunktthema ist ein sozialer Arbeitsmarkt. Ich kämpfe für einen höheren Mindestlohn, mehr Tarifbindung und dass wir die Gehaltslücke zwischen Ost und West und Frauen und Männern endlich schließen können.
Frage 2: Was muss aus Ihrer Sicht gegen die soziale Spaltung in der Gesellschaft getan werden und wie wollen Sie zur Generationengerechtigkeit beitragen?“
Die soziale Spaltung ist ein großes Thema unserer Zeit und ich glaube, dass die Corona Pandemie das auch noch mal verstärkt hat. Ich bin Sozialpolitikerin, ich will mich dafür einsetzen, dass Menschen von ihrem Lohn auch wirklich leben können, weil ich habe den Eindruck, dass, nun ja, viele Menschen ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben zu einem kleinen Gehalt und jetzt auch eine kleine Rente bekommen und deswegen auch, naja, zum Lebensabend hin dann auch aufs Sozialamt müssen. Die haben zwar die Grundrente eingeführt und konnten somit auch etwas Generationengerechtigkeit herstellen, aber wir müssen dann natürlich noch weiter gehen eben mit einem höheren Mindestlohn, der Menschen in die Lage versetzt, auch wirklich von ihrem Lohn leben zu können. Wir wollen eine Kindergrundsicherung zum Beispiel einführen, die Chancengleichheit schaffen soll, wenn es darum geht, zum Beispiel neues Kindergeld zu beantragen. Das wird gestaffelt ans Einkommen der Eltern, das heißt, die, die mehr Unterstützung brauchen, bekommen sie auch endlich, und die weniger Unterstützung brauchen, weil sie eben schon genug Geld auf dem Konto haben, die kriegen dann eben nicht mehr so viel. Alle kriegen den gleichen Basisbetrag – das ist so ein Schritt, den wir gehen wollen und in der Kindergrundsicherung steht zum Beispiel auch die kostenlose Fahrt mit Bus und Bahn im ÖPNV, eine gebührenfreie Kita, und das sind alles so Schritte die wir gehen wollen, um die Strukturen zu überwinden, die dazu geführt haben, dass eben nicht alle alles werden können und wir auch strukturelle Benachteiligung erleben teilweise.
Frage 3: Was muss getan werden, damit antidemokratische und gewaltbereite Kräfte zurückgedrängt werden?
Wir brauchen einen Verfassungsschutz, der wirklich als demokratisches Frühwarnsystem funktioniert. Der Verfassungsschutz hat in den letzten Jahren sicher eines gezeigt: dass es einige Lücken gibt, die wir dringend schließen müssen. Das ist zum Beispiel ein Schritt. Wir wollen ein Demokratie- Fördergesetz einführen, das ist leider an der Blockade der CDU gescheitert, aber in diesem Demokratie- Fördergesetz steht zum Beispiel drin, dass Projekte, Vereine und Initiativen, die vor Ort Demokratiearbeit machen, Integrationsarbeit machen und für den sozialen Zusammenhalt kämpfen, dass wir die aus dem Projekt Status rausholen und die auf langfristige finanzielle Schienen stellen, damit sie ihre so wichtige Arbeit auch wirklich verstetigen können und langfristig ausüben können.
Frage 4: Wie stehen Sie zu der teils im politischen Diskurs nicht unüblichen Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus?
Das halte ich für sehr schwierig. Der Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere Demokratie, das haben die letzten Jahre gezeigt und die letzten Jahrzehnte. Ich halte es für sehr schwierig, das auf eine Stufe zu stellen. Ich glaube Gewalt kann nie das Mittel politischer Auseinandersetzung sein, egal von welcher Seite sie kommt, aber ich glaube nicht, dass es klug ist, Rechts- und Linksextremismus auf eine Stufe zu stellen und miteinander zu vergleichen.
Frage 5: Wo sehen Sie Versäumnisse in der Umwelt- und Klimapolitik, was muss dringend getan werden?
Ja, also, wir brauchen dringend Tempo beim Ausbau von Stromnetzen, Wasserstoffleitungen, aber auch von Schienen. Wir wollen 75% der Schienen bis 2030 elektrifizieren, das sagt die SPD. Wie wollen die, das was in den letzten Jahren zu kurz gekommen ist, nämlich auch da hinzuschauen wo Menschen den Strukturwandel gerade erleben, im Lausitzer Land, in der Lausitz im Leipziger Land, dass wir da auch wirklich hinschauen und über die Strukturgelder hinaus auch Hilfen in die Region geben für Renaturierung, für die Erschließung neuer Wirtschaftszweige. Da reicht es eben nicht, mal zwei Bundesbehörden oder Institute reinzusetzen, das wird nicht genug Arbeitsplätze schaffen. Wenn wir jetzt aber in die Städte schauen zum Beispiel, sind die Themen ja wieder anders gelagert. Da geht es natürlich um ordentlich ausgebauten und kostengünstigen ÖPNV. Seit ich in Dresden wohne, hat sich eine Stunde mit der DVB fahren von 1 Euro 80 auf 2,50 erhöht, und insofern brauchen wir da auch mehr Subventionierung, wenn es um den öffentlichen personennahverkehr geht, mehr Verkehr auf die Schiene, und jetzt leben wir aber im Automobilland Deutschland, und das wird es auch bleiben, und deswegen müssen wir die Wirtschaft da unterstützen, ihre Produktion auch klimafreundlich oder klimaneutral umzustellen. Viele große Unternehmen sind schon dabei, aber da geht es ja auch darum, wie die ganzen Zulieferer sich umstellen, da müssen wir auch dringend hinschauen, kleine und mittlere Unternehmen auch zu unterstützen, den Weg in die nachhaltige Wirtschaft auch gehen zu können.
Frage 6: Sind Sie mit der derzeitigen Asylgesetzgebung zufrieden, und wenn nicht, was würden Sie ändern wollen?
Ich war anderthalb Jahre Integrationsbeauftragte in Freiberg und habe das hautnah miterlebt, was Menschen durchmachen, wenn sie hier ankommen, ihren Antrag stellen, in der Erstaufnahme sind und so weiter und so fort. Das sind Zustände, die ich persönlich für sehr, sehr schwierig halte. Es dauert viel zu Lange, bis ein Asylantrag bearbeitet ist. Wir brauchen von Tag 1 Sprachangebote für alle, die zu uns kommen, unabhängig wie ihr Status ist, ob sie nun den Geflüchtetenstatus haben oder subsidiär Schutzberechtigte sind oder auch nur Geduldet. Wir müssen weg von diesen Arbeitsverboten. Wenn Leute hierher kommen und ihre eigene Lebensgrundlage sich erstreiten wollen, sich hier eine Perspektive aufbauen wollen, wer sind denn wir zu sagen „nein, du darfst aber nicht arbeiten“? Das kann zum Beispiel nicht sein. Wir wollen den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ähnlich, wie für Geflüchtete einsetzen, aber auch der Geschwisternachzug zum Beispiel für unbegleitete minderjährige Asylsuchende, den wollen wir auch, weil Integration am besten in der Familie funktioniert. Wenn ich mir vorstelle, dass ich allein in einem fremden Land mir ein neues Leben aufbauen müsste, das würde mir wohl auch sehr, sehr schwer fallen. Also auch da wirklich auch viel mehr die Menschen sehen und weniger dieses System, in dem sie gefangen sind, sondern auch wirklich da reingehen und sich um die Menschen kümmern, das ist unser erklärtes Ziel.
Frage 7: Wie stehen Sie zum System der AnkER – Zentren (AnkER steht ja für Ankunft – Entscheidung – Rückführung), in denen Geflüchtete, auch Kinder, mittlerweile bis zu drei Jahren interniert werden können? Würden Sie das abschaffen, umbauen oder ausbauen wollen?
Ich würde das sofort abschaffen. Ich fand es auch sehr, sehr schwierig, als das in Sachsen eingeführt wurde, die Anker Zentren. Man schmückt sich ja in Sachsen Damit, dass man besonders viele Menschen abschiebt, und ich glaube nicht, dass das nun die Dimension sein sollte, an der wir uns messen, das ist absolut nicht mein Anspruch. Ich glaube, wir sollten viel schneller dafür sorgen, dass Menschen in der eigenen Wohnung unterkommen können, dass sie Sprachangebote bekommen, dass es Kinderbetreuung gibt und dass Menschen auch in Arbeit kommen. Ich würde mich viel lieber darüber unterhalten, wie wir es hinbekommen, den Spurwechsel schneller hinzubekommen als darüber, wie wir schnellstmöglich Leute abschieben oder zurückführen.
Frage 8: Was denken Sie über die privat organisierte Seenotrettung im Mittelmeer, bei der ja Dresden mit Mission Lifeline eine wichtige Rolle spielt?
Ich bin unendlich dankbar, dass es Menschen gibt, die zum Beispiel bei Mission Lifeline sich einsetzen für die Seenotrettung. Wir haben alles rot-rot-grüne Parteien in Dresden bereits dreimal versucht, Dresden zum „sicheren Hafen“ zu machen, das ist dreimal gescheitert im Stadtrat. Das halte ich persönlich für ganz, ganz schwierig und das macht mich auch ehrlich gesagt wütend, weil diese Stadt so viel mehr kann als das was nun ja aus dem Rathaus entschieden wird. Und insofern bin ich sehr dankbar, und wir sagen auch: Seenotrettung ist kein Verbrechen, das darf nicht sein, dass Seenotretter:innen kriminalisiert werden. Also, ich stehe voll und ganz hinter Mission Lifeline und allen anderen Helfern.
Frage 9: Sollte Dresden sich Ihrer Meinung nach zum „Sicheren Hafen“ erklären?
Absolut, absolut!
Frage 10: Wie stehen Sie zur Politik der EU an den Außengrenzen – inklusive illegaler Pushbacks, Frontex, Unterstützung lybischer Milizen und den Plänen für Lager außerhalb der EU?
Also, da können Sie sich vielleicht auch vorstellen, dass ich nicht unbedingt Fan
davon bin, wie die EU an ihren außengrenzen handelt. Es kann nicht sein, dass diese Union funktioniert, wenn es darum geht, Banken zu retten, aber nicht, wenn es darum geht, Menschenleben zu retten. Also wir lassen die Menschen vor unserer europäischen Haustür ersaufen, und das kann nicht sein. Wir wollen zum Beispiel das Dublin- Verfahren reformieren, das ist ungerecht, so wie es funktioniert, und es war richtig, das 2015 für Deutschland auszusetzen, weil, was sagt das Dublin-Verfahren? Das Land des Ersteintrittes ist zuständig für die Bearbeitung des Asylantrages, und das bedeutet Italien, Spanien, Griechenland, also die europäischen Außengrenzen, und das ist unsolidarisch, weil es natürlich zu einer, na ja, schon Überlastung auch der Systeme vor Ort geführt hat und deswegen sagen wir: wir brauchen dringend eine solidarische Reformation des Dublin Verfahrens, damit Geflüchtete legal einreisen können, und zwar in das Land, wo sie gerne einreisen wollen, und dass dann eben dort entschieden wird über den Asylantrag.
Frage 11: Finden Sie, dass Geflüchtete eine Chance bekommen sollten, sich ihren Aufenthaltstitel aktiv zu „erarbeiten“ – durch Arbeit, Spracherwerb, Ausbildung, Integration, oder sollten weiterhin ausreisepflichtige Menschen abgeschoben werden, unabhängig von Status, Verhalten, Alter oder bisheriger Dauer ihres Aufenthaltes hier?
Wer nach Deutschland einreist, egal mit welchem Status, sollte die Chance haben, sich hier auch eine eigene Perspektive aufzubauen, und wenn jemand kriminell auffällig wird, dann hat der deutsche Staat die Verantwortung, auch da die Konsequenzen zu ziehen. Ich glaube, dass die Konservativen sich da einen sehr, sehr schlanken Fuß machen, wenn sie sagen: kriminelle Ausländer abschieben! Damit machen was uns zu einfach, denn auch Kriminelle sind ja auch gefährdet in ihren in ihren Heimatländern, in Teilen, also wir können doch nicht sehenden Auges Menschen in Länder zurück abschieben, weil sie hier vielleicht mal schwarz gefahren sind, wo sie am Ende mit ihrem Leben bezahlen müssen. Also ich bin der festen Überzeugung: die, die hier herkommen, sollten auch die Chance bekommen, hier wirklich auch sich ein eigenes Leben aufzubauen.
Frage 12: Ist aus Ihrer Sicht Migration ein Mittel, um dem Fachkräftemangel in Deutschland zu beheben? Sind hierzu aus Ihrer Sicht die Regeln und
Gesetze ausreichend, oder müsste da etwas geändert werden? Wenn ja, was?
Wir brauchen, also ich glaube da dürfen wir uns auch nicht der Illusion hingeben, dass wir nicht auf Zuwanderung angewiesen sein werden in den nächsten Jahren, wenn wir uns den demografischen Wandel mal anschauen. Und ich glaube, dass wir da dringend verschiedene Stellschrauben ja bewegen müssen, zum Beispiel beim Berufsqualifikationsausbildungsfeststellungsgesetz, das ist ein Bundesgesetz, was in Länderhoheit aber ausgestaltet ist und, ja, das ist sehr ungerecht, weil es natürlich EU- Ausländer:innen besser stellt als Menschen aus sogenannten Drittstaaten. Das heißt, Menschen mit einem Abschluss aus Syrien haben es tausendmal schwerer, eine Anerkennung zu bekommen als Menschen mit einem Abschluss aus Frankreich. Das ist ein großes Problem, das heißt da würde ich gerne rangehen an dieses Gesetz auf Bundesebene, das auch zu verschärfen an der Stelle. Ich habe den Spurwechsel schon ins Spiel gebracht, so dass Menschen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz rauskommen in Strukturen, in denen sie arbeiten können und ich würde auch gerne das Asylbewerberleistungsgesetz mal genau scannen und mal schauen was man da noch machen muss, weil ich glaube, da gibt es noch einiges zu tun.
Frage 13: Erwarten Sie Migration aufgrund der Klimaveränderung? Sehen Sie hier Handlungsbedarf? Wenn ja, welchen?
Ja. Also, ich glaube, wir dürfen uns auch da nicht der Illusion hingeben, dass der globale Süden nicht auf unsere Hilfe angewiesen ist. Unsere Art und Weise zu wirtschaften, die Art und Weise, wie der Kapitalismus sich in den letzten Jahren entwickelt hat, sorgt für Ausbeutung im globalen Süden. Wir brauchen da dringend Maßnahmen, jetzt nicht nur im Lieferkettengesetz zum Beispiel, was auf EU- Ebene ja verhandelt wird, was eben auch dafür sorgt, dass Arbeitsbedingungen und Entlohnung in den produzierenden Ländern menschenwürdig sind, sondern wir müssen natürlich auch endlich zum Beispiel das OECD- Ziel einhalten. Die OECD hat schon 1970 mit den Mitgliedsstaaten verabschiedet, dass 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Struktur und Entwicklungshilfe ausgegeben werden. Das haben wir in Deutschland genau zweimal geschafft seit 1970. Das heißt, da würde ich mich gerne auch darum kümmern, dass wir das schaffen, und ansonsten müssen wir auch endlich mal akzeptieren, dass wir mitten im Klimawandel stecken und dass es viele Regionen auf dieser Erde gibt die, na ja, sehr betroffen sind. Das haben die letzten Jahre gezeigt, mit den Wetterextremen, Brände, die Flut auch in Süddeutschland… Der Klimawandel ist da, und deswegen muss auch die EU, muss Deutschland dringend da auch dafür sorgen dass, die Menschen auf dieser Welt, besonders im globalen Süden, sich in Sicherheit bringen können oder wir eine Politik endlich machen, in der wir das auch mal aufhalten irgendwann – so viel Zeit haben wir nicht mehr.
Frage 14: Was macht Ihnen momentan am meisten Sorgen?
Der gesellschaftliche Zusammenhalt.
Frage 15: Was haben Sie sich für den Fall Ihrer Wahl in den Bundestag als Erstes vorgenommen?
Als erstes würde ich mich total gerne darum kümmern, dass wir eine Kindergrundsicherung bekommen, die für mehr Chancengleichheit sorgt.